Wissenschaftskommunikation
Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement mit der Wissenschaft wurden in den letzten Jahren wiederholt gefordert, insbesondere während der COVID-19-Pandemie. Die Expert:innengruppe «Communicating Sciences and Arts in Times of Digital Media» hat erstmalig einen umfassenden Bericht über die Wissenschaftskommunikation in der Schweiz veröffentlicht und formuliert 20 Empfehlungen zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation.

Allgemein beschreibt der Bericht die Lage in der Schweiz als positiv. «Studien zeigen beispielsweise, dass die Schweizer Bevölkerung die Wissenschaft positiv wahrnimmt und das Vertrauen in die Wissenschaft hoch ist», erklärt L. Suzanne Suggs, Professorin für Social Marketing an der Università della Svizzera italiana und Co-Sprecherin der Expert:innengruppe. «Viele Wissenschaftler:innen in unserem Land finden Wissenschaftskommunikation wichtig und sind bereit, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.» Gian-Andri Casutt, Leiter Kommunikation des ETH-Rats und ebenfalls Co-Sprecher der Gruppe, fügt hinzu: «Aus dem Bericht geht ebenfalls hervor, dass Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen ihre Aussenkommunikation in den letzten Jahren intensiviert haben und dass der Bevölkerung ein breites Spektrum an Formaten für die Wissenschaftskommunikation zur Verfügung steht – von Museen und Wissenschaftszentren über journalistische Medien und soziale Medien bis hin zu Wissenschaftscafés und öffentlichen Vorlesungen.»
Der Bericht betont jedoch auch die Notwendigkeit von Verbesserungen. «Forschungsergebnisse zeigen, dass ein kleiner, aber nicht unbedeutender Teil der Schweizer Bevölkerung sich von der Wissenschaft distanziert hat», erklärt Mike S. Schäfer, «und damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben.» Dem Bericht zufolge halten sich viele Wissenschaftler:innen mit der öffentlichen Kommunikation zurück, da sie nicht dafür ausgebildet sind und sich vom Wissenschaftssystem nicht unterstützt fühlen, vor allem in Krisensituationen. Im Bericht wird betont, dass der Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz vor bedeutende Herausforderungen gestellt ist und dass viele Journalist:innen unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Ausserdem wird aufgezeigt, dass digitale Plattformen wichtige Informationsquellen zu Wissenschaftsthemen geworden sind, besonders für jüngere Menschen, dass sie aber auch Dis- und Misinformation erleichtern.
Empfehlungen
Auf dieser Grundlage hat die Expert:innengruppe 20 Empfehlungen zur Förderung der Wissenschaftskommunikation und des gesellschaftlichen Engagements in der Schweiz formuliert. Diese konzentrieren sich auf die Rolle von einzelnen Wissenschaftler:innen, auf institutionelle Wissenschaftskommunikation, auf Wissenschaftsjournalismus und andere Aspekte und richten sich an Stakeholder, Entscheidungsträger:innen aus Wissenschaft und Hochschule, Förderorganisationen, Politiker:innen und Medienhäuser.
1. Wissenschaftskommunikation und öffentliches Engagement sollten ein akzeptierter Teil der wissenschaftlichen Kultur und Praxis werden.
Viele Wissenschaftler:innen in der Schweiz sind bereit, öffentlich zu kommunizieren und sich im gesellschaftlichen Dialog zu engagieren. Die Zahl der Wissenschaftler:innen, die sich tatsächlich in diesen Bereichen engagieren, ist jedoch deutlich geringer. Studien legen nahe, dass soziale, organisationale und kulturelle Faktoren in der scientific community – z.B. fehlende Anreize oder die kritische Wahrnehmung wissenschaftlicher Peers – Kommunikationsaktivitäten behindern. Daher sollten Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Forschungsförderer kommunikatives Engagement von Wissenschaftler:innen anerkennen und belohnen. Dies sollte in Form symbolischer Wertschätzung, z.B. durch Preise und Auszeichnungen, erfolgen. Es sollte aber auch «härtere» Anreize umfassen: Zwar sollten nicht alle Wissenschaftler:innen verpflichtet werden, sich kommunikativ zu engagieren, aber kommunikatives Engagement sollte positiv berücksichtigt werden, wann immer dies möglich ist, z.B. bei Förderentscheidungen, bei der Einstellung und Beförderung von Forschenden oder bei ihrer Evaluation.
2. Wissenschaftskommunikation sollte Teil wissenschaftlicher Ausbildung sein, insbesondere für junge Wissenschaftler:innen.
Die Kluft zwischen der Bereitschaft vieler Wissenschaftler:innen, öffentlich zu kommunizieren, und ihrem tatsächlichen kommunikativen Engagement hängt auch mit einem Mangel an Erfahrung und Ausbildung in diesem Bereich zusammen. Eine solche Ausbildung – die die konzeptionellen Grundlagen der Wissenschaftskommunikation, die ihr zugrunde liegende Forschung sowie praktische Übungen für die Kommunikation mit Journalist:innen oder in Social Media umfassen sollte – sollte gefördert und intensiviert werden. Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Fachgesellschaften sollten Schulungen zu Wissenschaftskommunikation und gesellschaftlichem Engagement anbieten und honorieren, z.B. zu Dialogformaten, Social Media oder Stakeholder-Kommunikation. Nach Möglichkeit sollten derartige Schulungen in die Curricula von Hochschulen und in die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses eingebettet werden. Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Fachgesellschaften, gegebenenfalls zusammen mit hochrangigen Organisationen wie den Akademien der Wissenschaften oder swissuniversities, sollten zudem Ressourcen für «Train the Trainers»-Programme in der Wissenschaftskommunikation bereitstellen. Sie sollten kommunizierende Wissenschaftler:innen als Vorbilder nutzen und sich an Best Practices orientieren.
3. Wissenschaftler:innen, die öffentlich kommunizieren, sollte sowohl professionelle als auch soziale, psychologische und nötigenfalls rechtliche Unterstützung angeboten werden.
Die Forschung zeigt eine Pluralisierung der öffentlichen Kommunikation über Wissenschaft, wissenschaftsbezogene Themen und Technologien wie Klimawandel, Impfungen, Tierversuche, Gen- und Biotechnologie oder 5G. Dies führt teils zu persönlichen Angriffen auf Wissenschaftler:innen, die öffentlich über solche Themen kommunizieren, insbesondere auf Wissenschaftlerinnen. In diesen Situationen müssen Betroffene von ihren Organisationen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft unterstützt werden. Derzeit gibt es in der Schweiz keine hinreichende Unterstützung in diesem Bereich. Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Fachverbände sollten Kapazitäten aufbauen, die es ihnen ermöglichen, kommunizierende Wissenschaftler zu unterstützen. Sie sollten zudem Kapazitäten aufbauen, um Wissenschaftler:innen, inklusive Whistleblower, in konflikthaften Situationen zu unterstützen. Dies betrifft professionelle Unterstützung bei der Kommunikation (z.B. durch Toolkits zu Wissenschaftskommunikation, Hilfe bei der Kommunikation auf Social Media und mit Stakeholdern oder im Bereich der Krisenkommunikation). Es sollte auch soziale und psychologische Unterstützung durch Peers, Mentor:innen und Vorgesetzte umfassen. Wichtig ist zudem, dass nötigenfalls rechtliche Unterstützung angeboten wird.
4. Das Verständnis von Wissenschaftler:innen für die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft und ihre Rolle in der Gesellschaft sollte gefördert werden.
Die Forschung zeigt, dass Wissenschaftler:innen, die Öffentlichkeit, politische Entscheidungsträger:innen und andere Stakeholder unterschiedliche Ansichten darüber haben, was sie als wichtig und gesellschaftlich relevant erachten. Für einen fruchtbaren Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft müssen sich Wissenschaftler:innen und Wissenschaftsorganisationen der unterschiedlichen Blickwinkel auf ihre Arbeit sowie der Ansichten, Bedenken, Expertise und Bedürfnisse der Öffentlichkeit bzw. relevanter Stakeholder bewusst sein. Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen und Fachgesellschaften sollten Schulungen, Workshops und Foren organisieren, an denen Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen der Öffentlichkeit teilnehmen, um die Wahrnehmungen, Visionen, Bedenken und Prioritäten der Gesellschaft für die Forschung wahr- und aufzunehmen. Dabei sollten verschiedene gesellschaftliche Akteure wie NGOs, Patientenorganisationen, Interessengruppen, Gewerkschaften, soziale Bewegungen usw. einbezogen werden.
5. Wissenschaftler:innen und wissenschaftliche Organisationen sollten evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation verstehen und praktizieren.
Forschung zu Wissenschaftskommunikation und öffentlichem Engagement gibt es seit Jahrzehnten und hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Sie hat die Stärken und Schwächen verschiedener Arten von Wissenschaftskommunikation aufgezeigt, Zielgruppen identifiziert und die besten Wege aufgezeigt, um mit diesen in Kontakt zu treten. Diese Erkenntnisse sollten bei der Planung und Durchführung von Wissenschaftskommunikation berücksichtigt werden. Wissenschaftler:innen, die öffentlich kommunizieren, Wissenschaftskommunikator:innen und wissenschaftliche Organisationen sollten die Forschung zu Wissenschaftskommunikation und ihre Ergebnisse kennen. Dafür sollte die Forschung zur Wissenschaftskommunikation, insbesondere zum Schweizer Kontext, regelmässig erhoben, zusammengestellt und in die wissenschaftliche Gemeinschaft kommuniziert werden. Hochschulen und Fachgesellschaften sollten Kurse zu dieser Forschung anbieten und in ihren Curricula verankern. Wo immer es möglich ist, sollten Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement mit Wissenschaft systematisch evaluiert werden, wobei sowohl erwünschte als auch unerwünschte Effekte erfasst werden sollten. Die Ergebnisse derartiger Evaluationen sollten öffentlich zugänglich sein, um die Datenbasis der Forschung zu Wissenschaftskommunikation zu erweitern.
6. Ein Dialog über die Ziele und Normen von Wissenschaftskommunikation und gesellschaftlichem Engagement mit der Wissenschaft ist notwendig.
Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit können unterschiedliche Ziele verfolgen. Zum Beispiel können sie primär der Verbreitung von Wissen dienen, einen Dialog mit der Öffentlichkeit anregen oder die Reputation einzelner Wissenschaftler:innen, Disziplinen oder Organisationen strategisch stärken. Einige dieser Ziele (wie die primäre Ausrichtung auf individuelle oder institutionelle Reputationsbildung) und einige der Mittel (wie der Einsatz von strategischem Framing zur Überzeugung des Publikums) sind kritisiert und ihre Grenzen empirisch aufgezeigt worden. Daher haben Wissenschaftler:innen, aber auch Fachgesellschaften einen Dialog inner- und ausserhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die Ziele und Normen der Wissenschaftskommunikation gefordert. Hochrangige Organisationen der wissenschaftlichen Gemeinschaft – wie die Akademien der Wissenschaften oder swissuniversities – sollten sich dieser Fragen annehmen. Sie sollten einen regelmässigen Austausch über die Ziele und Normen von Wissenschaftskommunikation und gesellschaftlichem Engagement mit der Wissenschaft etablieren.
7. Wissenschaftler:innen und wissenschaftliche Organisationen sollten kommunizieren, wie Wissenschaft funktioniert, inklusive Unsicherheiten, unterschiedlicher Perspektiven und gesellschaftlicher Relevanz.
Wissenschaftliches Wissen erweitert und entwickelt sich beständig weiter, gilt aber oftmals nur unter bestimmten Bedingungen und mit bestimmten Unsicherheiten. Wissenschaftler:innen und wissenschaftliche Organisationen sollten wissenschaftliche Befunde ausgewogen darstellen und kommunizieren, unter welchen Bedingungen und mit welchen Unsicherheiten diese einhergehen. Dies erfordert die Anerkennung unterschiedlicher Perspektiven und Interpretationen wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hochschulen, Wissenschafts- und Förderungsorganisationen sollten Wissenschaftler:innen ermutigen, nicht nur die Ergebnisse ihrer Arbeit, sondern auch Forschungsprozess und -methoden, Geltungsbedingungen und mit den Ergebnissen verbundene Unsicherheiten zu kommunizieren. In Forschungsanträgen, Publikationen und Öffentlichkeit sollten Wissenschaftler:innen, Forschungs- und Förderorganisationen die (potenzielle) gesellschaftliche Relevanz von Forschung sachgerecht kommunizieren, einschliesslich ihrer Relevanz für Steuerzahler:innen, ohne diese zu übertreiben.
8. Wissenschaftskommunikation mit unterversorgten Zielgruppen sollte intensiviert werden.
Die Forschung zeigt, dass Teile der Bevölkerung in unterschiedlichem Masse Zugang zu Wissenschaft haben, nicht gleichermassen an ihr interessiert und über sie informiert sind. Wissenschaftskommunikation sollte sich auch an die Gruppen richten, die weniger an wissenschaftsbezogenen Diskussionen beteiligt ist. Dies gilt auch für (etwa rurale) geografische Regionen, in denen es weniger Möglichkeiten des Kontaktes und Dialoges mit Wissenschaft und Wissenschaftler:innen gibt. Kommunikations- und Engagement-Aktivitäten individueller Forschender, wissenschaftlicher Organisationen und von anderen Wissenschaftskommunikator:innen sollten unterversorgte Zielgruppen stärker adressieren. Forschungsförderer sollten Wissenschaftler:innen gezielt dazu ermutigen und Förderprogramme für derartige Aktivitäten bereitstellen.
9. Partizipative Forschung sollte unterstützt und extensiviert werden.
Bürger:innen profitieren nicht nur von wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch von der aktiven Teilnahme an der Wissenschaft. Formate wie Bürgerwissenschaft, partizipative (Aktions-)Forschung und community-based research können das Verständnis von Forschung und Forschungsergebnissen, aber auch die soziale Wirkung von Wissenschaft steigern. Die Einbindung von Bürger:innen in die Forschung, von der Planung von Studien bis zur Kommunikation ihrer Ergebnisse, sollte in der Schweiz einen höheren Stellenwert erhalten. Forschungsförderer sollten partizipative Forschung in ihren Finanzierungsprogrammen als legitime Option vorsehen. Forschende sollten Bürger:innen stärker einbeziehen. Dies erfordert die Priorisierung einer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und die Ausbildung von Forschenden in diesen Formaten. Wissenschaftsjournalist:innen sollten angeregt und ermutigt werden, Ergebnisse und Prozesse partizipativer Forschung zu kommunizieren, um die wichtige Rolle hervorzuheben, die Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam in einer demokratischen Gesellschaft spielen.
10. Institutionelle und individuelle Wissenschaftskommunikation sollte die spezifischen Werte der Wissenschaft zum Ausdruck bringen.
Wissenschaftskommunikation muss dazu beitragen, dass individuelle Forschende, aber auch Universitäten, Forschungseinrichtungen und Expertengremien von der Öffentlichkeit als grundsätzlich andere Institutionen wahrgenommen werden als Unternehmen und Verwaltungen. Dies kann zu einem besseren Verständnis der Wissenschaft in Politik und Öffentlichkeit führen und dafür sorgen, dass akademische Freiheit, Autonomie und Innovationskraft erhalten bleiben. Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen sollten klare Richtlinien haben, die ihre spezifischen Werte und Normen definieren und beschreiben, wie diese Werte und Normen in Kommunikation übersetzen. Zusätzlich zu organisationsinternen Richtlinien sind übergreifende Richtlinien für die Wissenschaftskommunikation und das gesellschaftliche Engagement mit der Wissenschaft notwendig. Diese sollten von hochrangigen wissenschaftlichen Organisationen wie den Akademien oder swissuniversities, Forschenden, wissenschaftlichen Organisationen, Forschungsförderern, Kommunikationsexpert:innen und Mitgliedern der Öffentlichkeit gemeinsam entwickelt werden.
11. Institutionelle Wissenschaftskommunikation sollte intern durchgeführt und koordiniert werden.
Institutionelle Wissenschaftskommunikation sollte, wenn möglich, intern und nicht von externen Kommunikationsagenturen durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen die spezifischen Bedingungen wissenschaftlicher Einrichtungen kennen und ein Vertrauensverhältnis zu Forschenden aufbauen können. Kommunikationsabteilungen von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen sollten selbst Kurse anbieten und Best Practices vermitteln, um mit Forschenden in Kontakt zu treten. Schulungen sowie ein Monitoring und regelmässiger Austausch über Social Media-Kommunikation könnten organisiert werden, um das Wissen über diese Kommunikation und Medienaktivitäten zu verbessern.
12. Forschung zur Wissenschaftskommunikation im Internet sollte finanziell, durch verbesserte Datenzugänge und Capacity Building gefördert werden.
Forschung zu Wissenschaftskommunikation im Internet – etwa zu Social Media, digitalem Wissenschaftsjournalismus, partizipativen Online-Formaten oder der Online-Kommunikation einzelner Wissenschaftler:innen – hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Aber sie weist immer noch Lücken auf, etwa was die Wirkungen von Online-Wissenschaftskommunikation auf Stakeholder wie Politiker:innen, die Validität von Social Media-Daten oder die Zielgruppen von Wissenschaftskommunikation im Internet angeht. Diese Lücken sind teilweise auf fehlende Finanzierungsmöglichkeiten, Schwierigkeiten beim Datenzugang und mangelndes Capacity Building zurückzuführen. Notwendig sind Finanzierungsmöglichkeiten für gross angelegte Forschungsprojekte, die die genannten Forschungslücken angehen, z.B. National Research Programs (NRPs). Capacity Building kann durch die Einrichtung von Zentren oder „Leading Houses“ für die Forschung zu Online-Wissenschaftskommunikation in der Schweiz befördert werden. Plattformanbieter sollten klare Standards und Schnittstellen für die Veröffentlichung oder den Datenzugang für Forschende festlegen. Dies muss mit der Etablierung von entsprechenden Regelungen im schweizerischen und europäischen Kontext einhergehen.
13. Wissenschaftskommunikation muss Des- und Misinformation entgegenwirken.
Ungenaue oder falsche Informationen über wissenschaftsbezogene Themen verbreiten sich online, in Social Media und Instant Messengern. Dies geschieht teils strategisch, teils versehentlich. Es wird teilweise durch die Unsicherheit wissenschaftlicher Ergebnisse und öffentliche Kontroversen begünstigt, die fehlerhafte Interpretationen begünstigen und zu Spekulationen führen können. Dies stellt ein Problem für die Wissenschaftskommunikation dar. Plattformanbieter und journalistische Medien sollten mit Forschenden kooperieren, um die Forschung zu Des- und Misinformation voranzubringen. Wissenschaftler:innen sollten interdisziplinär forschen, insbesondere an der Schnittstelle von Informatik und Sozialwissenschaften, um Messinstrumente, Umfragen oder kommunikative Strategien zur Identifikation und Bekämpfung von Des- und Misinformation zu entwickeln. Forschung aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften zur Inokulation der Bürger gegen Des- und Misinformation und zum Pre- und Debunking sollte in Strategien der Wissenschaftskommunikation einbezogen werden.
14. Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement mit der Wissenschaft sollten die Vielfalt der Wissenschaft berücksichtigen und widerspiegeln.
Wissenschaft ist vielfältig in Bezug auf ihre Disziplinen und Forschungsfelder, aber auch hinsichtlich der Seniorität von Forschenden, ihres Geschlechts oder ihrer geografischen Herkunft. Allerdings spiegelt Wissenschaftskommunikation diese Vielfalt teils nicht wider. Studien zeigen bspw., dass bestimmte Disziplinen und Forschungsfelder sowie ältere Wissenschaftler:innen stärker öffentlich sichtbar sind. Wo es möglich und angemessen ist, sollte Wissenschaftskommunikation die Vielfalt der Wissenschaft wiedergeben. Wissenschaftsorganisationen und Hochschuleinrichtungen sollten Forscher:innen aus Disziplinen oder mit soziodemografischen Merkmalen, die in der Öffentlichkeit weniger sichtbar sind, ermutigen, sie schulen und für sie Anreize schaffen, um sich kommunikativ zu engagieren.
15. Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik muss gestärkt und institutionalisiert werden.
Wissenschaftliche Expertise und Wissen müssen Bund, Kantonen und Gemeinden sowie politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen können. Dafür müssen Wissenschaft und Politik ihre Rollen und Verantwortung gegenseitig verstehen und akzeptieren. Dies würde durch einen regelmässigen Austausch und wechselseitiges Vertrauen begünstigt. Die Forschungslandschaft Schweiz sollte eine Anlaufstelle für Behörden und Politik definieren. In Krisenzeiten sollte kurzfristig ein wissenschaftliches Gremium eingerichtet werden, das die Konsultation mit Spitzenforscher:innen nach den Regeln der Good Governance ermöglicht. In Routine-Phasen muss ein regelmässiger Austausch zwischen Politik (auf nationaler, kantonaler und lokaler Ebene) und Wissenschaft stattfinden, damit wechselseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann. Dafür ist es notwendig, dass Themen von Relevanz für die Schweiz auch von der Schweizer Wissenschaft abgedeckt werden.
16. Es braucht eine neue Infrastruktur zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus’, die innovative Projekte und Kerninfrastrukturen finanziert.
Der Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen. Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des Wissenschaftsjournalismus ist gefährdet und die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftsjournalist:innen haben sich verschlechtert. Dies betrifft sowohl den spezialisierten Wissenschaftsjournalismus in traditionellen Medienhäusern als auch freiberufliche Wissenschaftsjournalist:innen. Neue wissenschaftsjournalistische Organisations- und Geschäftsmodelle sind entstanden, aber ihre wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist noch unklar. Daher ist eine neue Infrastruktur zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus nötig. Sie sollte zwei Ziele verfolgen: Auf der Basis eines Antragssystems und kompetitiver Vergabeentscheidungen durch unabhängige Gremien von Peers sollte sie erstens innovative Projekte im Wissenschaftsjournalismus fördern, von journalistischen Produkten einzelner Journalist:innen bis zu Anschubfinanzierungen für wissenschaftsbezogene Medien. Zweitens sollte sie langfristige Finanzierungen für kritische Infrastrukturen bereitstellen, um Kernfunktionen des Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz aufrechtzuerhalten. Eine solche Förderinfrastruktur könnte die Form einer Stiftung haben. Sie sollte in der Lage sein, Finanzmittel aus verschiedenen Quellen einzubinden, u.a. aus wissenschaftlichen Organisationen und Unternehmen, Zuwendungen aus der öffentlichen Hand oder aus anderen Stiftungen. Die Finanzquellen sollten so vielfältig wie möglich sein, und die Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung von den Geldgebern sollte gesichert sein.
17. Der Wissenschaftsjournalismus im service public und in etablierten Medienhäusern sollte gestärkt und redaktionsübergreifend vernetzt werden.
Die Bedeutung des Wissenschaftsjournalismus hat sich während der Covid-19-Pandemie, aber auch bei anderen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen wie 5G, Klimawandel und Biodiversität gezeigt. Doch die Zahl der Wissenschaftsjournalist:innen und Wissenschaftsredaktionen in Schweizer Medienhäusern sinkt. Spezialisierten Wissenschaftsjournalismus gibt es heute nur noch in wenigen Medienhäusern, z.B. beim öffentlichen Rundfunk SRG und bei den kommerziellen Medienhäusern CH Media, NZZ oder TX Group. Angesichts seiner zentralen Rolle muss der Wissenschaftsjournalismus in Schweizer Medienhäusern wieder gestärkt werden. Zudem ist ein Grundstock an wissenschaftsjournalistischer Expertise in Medienhäusern notwendig, um bestehende Support-Infrastrukturen wie die internationalen Science Media Center oder Aggregatoren wissenschaftsbezogener Medienmitteilungen wie EurekAlert optimal nutzen können. Sowohl öffentliche als auch kommerzielle Medienhäuser sollten von (weiteren) Entlassungen von Wissenschaftsjournalist:innen absehen und die wissenschaftsjournalistische Expertise unter ihren MitarbeiterInnen erhalten und stärken. Wissenschaftsjournalist:innen sollten in Redaktionen und redaktionellen Leitungssitzungen vertreten sein. Der Austausch zwischen Wissenschafts- und anderen Journalist:innen sollte gefördert werden, um wissenschaftsbezogenes Fachwissen den Redaktionen breit zur Verfügung zu stellen und im Gegenzug Wissenschaftsjournalist:innen neue Blickwinkel für die Berichterstattung über Wissenschaft aufzuzeigen. Medienhäuser ohne eigene Wissenschaftsredaktion sollten Wissenschaftsjournalist:innen in andere Ressorts integrieren und sie ermutigen, ressortübergreifend zusammen zu arbeiten.
18. Ein nationaler Anbieter für wissenschaftsbezogene News ist nötig.
Nur wenige Schweizer Medienhäuser verfügen noch über Wissenschaftsressorts. Insbesondere regionalen und lokalen Medien fehlt es oft an wissenschaftsbezogener Expertise. Darüber hinaus haben sich die Arbeitsbedingungen der verbliebenen Wissenschaftsjournalist:innen verschlechtert. Zeitmangel und eine steigende redaktionsinterne Nachfrage nach kurzen wissenschaftsbezogenen News machen es für viele Wissenschaftsjournalist:innen schwieriger, umfassende Hintergrundberichterstattung zu betreiben. Um diese Probleme zu beheben, braucht die Schweiz einen Anbieter, der Medienhäusern wissenschaftsbezogene News zur Verfügung stellt. Ein solcher Anbieter sollte mit Wissenschaftsjournalist:innen besetzt sein. Er sollte sich insbesondere auf die Produktion von Kurznachrichten, z.B. über neue wissenschaftliche Erkenntnisse, konzentrieren, die oft von in verschiedenen Medienhäusern separat produziert werden, aber oft nur wenige inhaltliche Unterschiede über diese Medien hinweg aufweisen. Das bestehende Wissenschaftsangebot von Keystone-SDA könnte als solcher Anbieter fungieren, da er bereits existiert, mehrsprachig arbeitet und über etablierte Verbreitungskanäle verfügt. Sein Angebot sollte daher beibehalten und idealerweise gestärkt werden. Gegebenenfalls muss das Finanzierungsmodell modifiziert werden, um wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Für den Fall, dass Keystone-SDA seine Funktion in Zukunft nicht mehr erfüllen kann, ist die Schaffung eines äquivalenten Angebots als Nachfolger erforderlich.
19. Finanzielle Unterstützung und Förderung der Unabhängigkeit von Freiberufler:innen.
Freie Mitarbeiter:innen sind im Wissenschaftsjournalismus besonders wichtig: erstens, weil Wissenschaft ein spezialisiertes Expertensystem ist, das spezialisierte Journalist:innen benötigt, um darüber zu berichten; zweitens, weil es in traditionellen Medienhäusern weniger solche JournalistInnen gibt. Doch die Situation vieler freiberuflicher Wissenschaftsjournalist:innen ist in den letzten Jahren prekärer geworden. Die Honorare für ihre Arbeit und die Zahl der Medien, die ihre Dienste finanzieren, sind gesunken. Viele Freiberufler:innen müssen mehr Inhalte produzieren, um ein angemessenes monatliches Einkommen zu erzielen. Die Arbeit von freiberuflichen Wissenschaftsjournalist:innen sollte gefördert und aufgewertet werden. Sowohl öffentliche als auch kommerzielle Medienhäuser sollten angemessene Honorare zahlen, die den investierten Arbeitsaufwand widerspiegeln. Die Suche nach freien Mitarbeiter:innen für Medienhäuser sollte vereinfacht werden, z.B. über eine Datenbank, über die sich freie Journalist:innen mit Erfahrung zu bestimmten wissenschaftlichen Themen finden lassen. Freie Mitarbeiter:innen sollten finanziell unterstützt werden, z.B. durch eine neuartige Förderinfrastruktur, die zusätzliche Honorare für ihre Arbeit bereitstellt.
20. Innovationen im Schweizer Wissenschaftsjournalismus sollten gefördert werden.
In der Schweiz gibt es nur wenige innovative digitale Formate im Wissenschaftsjournalismus wie interaktive Multimedia-Reportagen, visuelles Storytelling oder spezialisierte Social-Media-Angebote. Eine stärkere Betonung von Innovation im Schweizer Wissenschaftsjournalismus ist notwendig, um seine Attraktivität für das Publikum – und insbesondere für ein junges Publikum – zu erhöhen. Wissenschaftsjournalismus hat ein hohes Potenzial für innovative Inhalte, Narrative und Formate. Solche innovativen Formate wären gut geeignet, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Wissenschaftsjournalist:innen sollten ermutigt werden, dieses Potenzial zu nutzen. Journalismusschulen sollten entsprechende Kurse anbieten und Medienhäuser sollten ihre Journalist:innen beim Besuch dieser Kurse unterstützen. Symbolische Anreize wie Preise für innovativen Wissenschaftsjournalismus sind sinnvoll. Innovative Ansätze und Formate des Wissenschaftsjournalismus sollten von Stiftungen unterstützt werden. Medienpolitik sollte digitale Formate im (Wissenschafts-)Journalismus fördern.
Methode
Der Bericht basiert auf einer umfassenden Sichtung der interdisziplinären Forschung zu Wissenschaftskommunikation und gesellschaftlichem Engagement mit der Wissenschaft in der Schweiz. Zu Aspekten, zu denen wenige veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten verfügbar waren, bezieht der Bericht auch Primärdaten, internationale Befunde und Sekundäranalysen ein. Ein erster Entwurf des Berichts wurde anhand von Preprints der einzelnen Kapitel auf dem «Open Science Framework»-Repository öffentlich evaluiert. Ein zweiter Entwurf des Berichts wurde dann von vier international renommierten Wissenschaftler:innen mit Expertise im Bereich Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement und Kenntnis der Schweizer Situation begutachtet.
Zusammensetzung der Expert:innengruppe
Die Gruppe bestand aus 16 Expert:innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aus unterschiedlichen akademischen und wissenschaftlichen Organisationen und aus allen Sprachregionen der Schweiz. Beteiligt waren auch Sozialwissenschaftler:innen mit dem Forschungsgebiet Wissenschaftskommunikation, Informatiker:innen, Wissenschaftler:innen aus öffentlich beachteten Disziplinen wie Klimawissenschaft sowie professionelle Wissenschaftskommunikator:innen und Wissenschaftsjournalist:innen.