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Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW

Fördern statt selektionieren

Das viel gelobte Schweizer Bildungssystem steckt in einer Krise. Markus Zürcher erläutert deren Symptome zu Beginn seines rund 40-seitigen Essays. Da ist etwa die Prognose des Bundesamts für Statistik, dass die Schweiz bis 2031 auf Primarstufe rund 45 000 neue Lehrkräfte benötigt, aber nur 34 000 Personen ausbilden kann. Auch in weiteren Bereichen wie Pflege, Ingenieurwesen und Informatik fehlen akut und längerfristig Fachkräfte. Der Mangel wird sich durch den technologischen Wandel und die wachsenden Anforderungen des Arbeitsmarktes weiter verschärfen. Zürcher führt diese Entwicklung auf die veraltete Funktionsweise der Volksschule zurück. Bisherige Bildungsreformen haben an den grundlegenden Strukturen der Volksschule wenig geändert. Das System mit Jahrgangsklassen, Prüfungen unter Zeitdruck und Einteilung durch Noten reicht teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurück. Besonders problematisch ist das Prinzip der Selektion. Die erste Selektion erfolgt mit 12 Jahren (Übergang Primarstufe zur Sekundarstufe I), die zweite mit 15 Jahren (Übergang Sekundarstufe I zur Stufe II). Doch Kinder und Jugendliche entwickeln sich nicht linear nach Altersjahren. Zudem haben die Bildungsnähe der Eltern sowie deren Einkommen einen grossen Einfluss auf die Leistungen der Schüler·innen (etwa durch Aufgabenhilfe und Nachhilfeunterricht). Breit angelegte empirische Studien zeigen, dass die frühe Selektion soziale Ungleichheiten reproduziert und verstärkt. Leistungskonkurrenz, Stress und Demotivation sind weitere Folgen des veralteten Schulsystems. Die wahren Begabungen der Schüler·innen werden übersehen, ihre Lust am Lernen wird früh abgewürgt. Der Autor plädiert dafür, Bildung umfassender zu verstehen und prioritär in die Volksschule zu investieren. Statt sich am Bedarf an Arbeitskräften («manpower approach») zu orientieren und früh zu selektionieren, soll die Volksschule die individuellen Interessen und das Humanvermögen fördern: Resilienz, Sozialkompetenz und Fachkompetenz. Bildung, so Zürchers Fazit, muss zu eigenständigem Denken und Handeln befähigen. Denn in einer sich rasant verändernden Arbeitswelt ist nichts so wichtig wie lebenslanges Lernen sowie die Fähigkeit, mit neuen Gegebenheiten konstruktiv umzugehen.

 

Zürcher, Markus (2023): Fördern statt selektionieren. Plädoyer für eine Volksschule, die das Begabungspotenzial der Kinder und Jugendlichen ausschöpft (Swiss Academies Communications 18,1).

DOI: 10.5281/zenodo.7551627

  • Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT

    Roles of Scientists in Sustainability Transformations: A Guide for Reflection and Workshop Facilitation

    Scientists, scientific experts, and knowledge brokers often find themselves in situations where they need to play new roles in society or are criticised for positioning themselves at the interface between science and other societal fields of action. The present guide aims to stimulate reflections on, and discussions of, various different roles that scientists perform.

  • European Academies Science Advisory Council EASAC

    Waldbrände im Wandel: politische Optionen für ein feuerbewusstes und feuerangepasstes Europa

    Die Wahrscheinlichkeit extremer Brände nimmt zu, vor allem wegen dem Klimawandel mit Dürren und abnehmenden Sommerniederschlägen, der Landflucht und veränderter Flächennutzung. Um darauf zu reagieren, fordert ein neuer Bericht europäischer Akademien einen dringenden Wechsel in der Politik zur Bekämpfung von Waldbränden – von reaktiver Bekämpfung zu proaktivem, risikobasiertem Landmanagement.

    Schon heute brennen in der EU im Durchschnitt jährlich eine halbe Million Hektar ab, also fast die doppelte Grösse Luxemburgs. Während der Mittelmeerraum nach wie vor am stärksten gefährdet ist, müssen sich auch die kontinentalen, alpinen und borealen Regionen auf eine neue Ära der Brände einstellen, warnt der Bericht. Anstatt sich auf Brandbekämpfung und Notfallmassnahmen zu konzentrieren, plädiert der Bericht für einen integrierten EU-Rahmen für die Bewältigung des Brandrisikos in der Landschaft, der neben den folgenden drei Elementen der Prävention Vorrang einräumt: Klima- und Landnutzungspolitik, die sich auf die Wiederherstellung kohlenstoffreicher Torfgebiete und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern konzentriert; Einbezug des Brandrisikos in Pläne zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Anpflanzung von Bäumen; Erziehung zu einer brandresistenten Gesellschaft.

    Der unter der Schirmherrschaft des European Academies Science Advisory Council (EASAC) erstellte Bericht wurde von Forschenden aus ganz Europa verfasst. Im Auftrag der Akademien der Wissenschaften Schweiz trug Marco Conedera, Forstingenieur am WSL-Campus in Cadenazzo, als Gutachter eines Entwurfs bei.

  • Akademien der Wissenschaften Schweiz a+

    Studie zur Nachwuchsförderung und Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Berufen

    Ziel der vorliegenden Studie war es, Einflussfaktoren und Lösungsansätze zum Fachkräftemangel im MINT-Bereich – insbesondere hinsichtlich des Frauenanteils – zu diskutieren und daraus Massnahmen für die Schweiz abzuleiten.

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