Wir sind das grösste wissenschaftliche Netzwerk der Schweiz und beraten Politik und Gesellschaft in wissensbasierten und gesellschaftsrelevanten Fragen. Über uns

Medienmitteilung

Akademien der Wissenschaften Schweiz a+

Schweizer MINT-Förderung stösst an gläserne Decke: mehr Fachkräfte dank systemischem Ansatz

Die MINT-Förderung in der Schweiz kann ihre volle Wirkung nur dann entfalten, wenn sie strategischer und breiter angegangen und von Fortschritten in der Chancengleichheit begleitet wird. Dies zeigt eine am 14. Mai 2025 veröffentlichte Studie der Akademien der Wissenschaft Schweiz im Auftrag des Parlamentes. Ein solcher Ansatz führe nicht nur zu mehr Fachkräften, sondern bringe auch Vorteile in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Eine aktuelle Studie zeigt auf, dass die Förderung von MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) in der Schweiz zwar dafür gesorgt hat, dass das Interesse für MINT-Themen punktuell steigt. In den letzten Jahren ist die Zahl der Studierenden auf Tertiärstufe in den MINT-Bereichen leicht gestiegen.(1) Für einen nachhaltigen, breiten Erfolg jedoch müssten die schon heute bestehenden zahlreichen Einzelmassnahmen verstärkt koordiniert und besser gesteuert werden. Konkret empfiehlt die Studie, einen schweizweiten Handlungsrahmen zu schaffen: Eine nationale Strategie sowie ein nationales MINT-Kompetenzzentrum sollen für Synergien sorgen, MINT-Akteure wie Förderorganisationen, Schulen und Unternehmen koordinieren und die Qualität der Massnahmen sichern. Eine weitere Empfehlung der Studie lautet, das Wissenschaftsinteresse auch künftig allgemein zu stärken. Mehr Veranstaltungen, niederschwellige ausserschulische Angebote und gezielte digitale Kommunikation sollen das Interesse an MINT-Themen fördern und das Vertrauen in die Wissenschaft festigen. Susanne Metzger, Professorin für Naturwissenschaftsdidaktik an der Universität Basel und Mitautorin der Studie, unterstreicht: «Bessere Koordination und strategischer Aufbau der MINT-Förderung sind Hebel dafür, bestehende Massnahmen zu optimieren. Sie sorgen dabei gleichzeitig auch für eine grösstmögliche Breitenwirkung.»

 

Warum wählen immer noch zu wenig Frauen und Mädchen MINT-Berufe?

Die Studie legte ausserdem den Akzent auf die Frage, warum die Zahl der Frauen und Mädchen, die sich für MINT-Berufe interessieren, nur langsam steigt. Gezielte Aufholmassnahmen wie weibliche Vorbilder, Mentoring-Programme und Safe Spaces stärken das Zugehörigkeitsgefühl und Selbstvertrauen von Frauen und Mädchen im MINT-Bereich, wie die Studie eindrucksvoll aufzeigt. Das volle Potenzial entfalten Fördermassnahmen wie die MINT-Programme der Akademien der Wissenschaften Schweiz jedoch nur mit gesamtgesellschaftlichen strukturellen Veränderungen, die auch eine bessere Sensibilisierung von Männern umfassen müssen. Eine starke Familienpolitik mit bezahlbarer Kinderbetreuung, flexiblen Elternzeitmodellen und New Work-Ansätze, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle zu verbessern, ist nötig. Weiterhin haben sich Geschlechterquoten als wirksames Instrument bewährt. Isabelle Collet, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Genf und ebenfalls Mitautorin der Studie, führt aus: «Noch wenig genutzte Ansätze wie Gender Budgeting, nach dem Fördermittel und -initiativen auch Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigen, könnten ebenfalls dafür sorgen, dass sich der Frauen- und Mädchenanteil in MINT-Berufen steigert.» Den Schulen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Gendergerechtes Unterrichtsmaterial, gezielte Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und Kompetenzen in Gleichstellungspädagogik sind essenziell für eine wirksame MINT-Förderung. Die Studie zieht das klare Fazit, dass eine ausschliessliche Orientierung an freiwilliger Berufswahl und individuellem Interesse zu kurz greift, da strukturelle Barrieren, soziale Normen und geschlechtsspezifische Stereotype bereits früh Einfluss auf Präferenzen und Entscheidungen nehmen und damit Kompetenzen und schulische Leistungen überlagern. Es braucht gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, um langfristig mehr Fachkräfte auszubilden und die Chancengleichheit in MINT-Berufen nachhaltig zu verbessern.

 

Die aktuelle Situation in der Schweiz

Die Schweiz leidet unter akutem Fachkräftemangel im sogenannten MINT-Bereich, was Wirtschaft und Gesellschaft stark beeinflusst.(2) Da Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in MINT-Fächern unentbehrlich sind, um Herausforderungen wie die digitale Transformation und Umweltkrisen zu bewältigen, ist es umso besorgniserregender, dass der Frauenanteil in diesen Berufen weiterhin niedrig und die Studienwahl stark geschlechtsspezifisch bleibt.(3) Zudem nimmt der Frauenanteil entlang der Bildungs- und Karrierewege ab dem Doktorat kontinuierlich ab («Leaky Pipeline»), was zu einem inakzeptablen Verlust an Fachkräfte-Potenzial führt. Internationale Erhebungen wie PISA zeigen zwar, dass Mädchen in MINT-Fächern gut abschneiden und bereits in der Grundschule grosses Interesse an diesen Fächern haben, doch strukturelle Hürden wie soziale Normen und stark verankerte Geschlechterstereotype bremsen sie aus, wie die Studie aufzeigt. Diese Faktoren führen dazu, dass viele Mädchen und Frauen sich unbewusst aus MINT-Berufen zurückziehen – eine Form der Selbstselektion, die durch gesellschaftliche Erwartungen und subtile soziale Mechanismen verstärkt wird.

 

Hintergründe zur Studie

Der Frauenanteil in MINT-Berufen bleibt in der Schweiz niedrig. Um dem entgegenzuwirken, reichte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-N) am 30. Juni 2022 das Postulat 22.3878 ein: Bericht und Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen. Der Nationalrat nahm es am 29. September 2022 an und beauftragte den Bundesrat, in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen Bericht über bestehende Massnahmen zu erstellen. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) koordinierte den Bericht, unterstützt von einer interdisziplinären Begleitgruppe. Zudem beauftragte das SBFI die Akademien der Wissenschaften Schweiz mit einer wissenschaftlichen Studie, die von Januar bis Oktober 2024 durchgeführt wurde. Die Studie stützt sich auf Analysen von Statistiken und nationale wie internationale Forschungsliteratur sowie auf Fokusgruppen-Interviews mit Akteuren aus Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft. Ziel der Studie war es, bestehende Berichte und Statistiken zum Fachkräftemangel in MINT-Berufen zu analysieren, zentrale Einflussfaktoren zu identifizieren und konkrete Empfehlungen für Verantwortliche der Bildungspolitik und Anbietende von MINT-Initiativen zu erarbeiten. Dabei wurden bereits erprobte Massnahmen aus der Schweiz und dem Ausland untersucht und in ihrem Kontext bewertet.

 

Projektleiterin

Edith Schnapper, Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW)

 

Autorinnen und Autoren

  • Isabelle Collet, Universität Genf

  • Susanne Metzger, Universität Basel und PH FHNW

  • Lora Naef, Universität Genf

  • Theres Paulsen, Akademien der Wissenschaften Schweiz (a+) und Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT)

  • Edith Schnapper, Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW)

  • Stefan Vonschallen, PH FHNW

 

Für weitere Informationen wenden Sie sich an:

(1) SKBF - Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (2023). Bildungsbericht Schweiz 2023. Aarau. https://www.skbf-csre.ch/fileadmin/files/pdf/bildungsberichte/2023/BiBer_2023_D.pdf  / BFS - Bundesamt für Statistik (2024). MINT-Fächer an den Hochschulen. Bildung und Wissenschaft. https://www.bfs.admin.ch/asset/de/28645991.

(2) SECO (2023): «Indikatorensystem Arbeitskräftesituation – Methodische Grundlagen und Ergebnisse». Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 40. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern.

(3) KOF, 2020. Frauenanteil in MINT-Fächern: Grosse Unterschiede zwischen den Kantonen – KOF Konjunkturforschungsstelle | ETH Zürich.

Kontakt

MINT Schweiz

Haus der Akademien

Laupenstrasse 7

Postfach

3001 Bern

Studie zur Nachwuchsförderung und Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Berufen