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«Twitter verleitet dazu, nicht lange nachzudenken»

 
Wie steht es in der Schweiz um die Wissenschaftskommunikation? Am 15. Juli 2021 publiziert die ExpertInnengruppe «Communicating Sciences and Arts in Times of Digital Media» ihre Befunde. Suzanne Suggs, Co-Sprecherin der Gruppe und Professorin für soziales Marketing, erklärt, wie wichtig das verständliche Gespräch über Forschung für die Gesellschaft ist – und wo die Fallstricke liegen.

23. Juni 2021

Autorin: Astrid Tomczak

 

Suzanne Suggs: Wie würden Sie den Zustand der Wissenschaftskommunikation in der Schweiz mit drei Stichworten beschreiben?

Verbesserungswürdig. Unterbewertet. Priorisierungsbedürftig.

 

Sie haben rund zwei Jahre am Bericht gearbeitet. Inwiefern hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst?

Wir wollten den Bericht früher abschliessen, aber die Pandemie hat alles verlangsamt. Natürlich hat die Pandemie uns auch inhaltlich beschäftigt: Sie hat einige Defizite und Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation ans Licht gebracht. Wir haben deshalb darüber diskutiert, ob wir die Gelegenheit am Schopf packen sollten, um anhand der Pandemie zu betonen, wie gross das Bedürfnis nach besserer, kontinuierlicher Wissenschaftskommunikation ist. Wir haben aber entschieden, dass wir uns an das ursprüngliche Mandat halten, nämlich generell die Wissenschaftskommunikation unter die Lupe zu nehmen. Irgendwann wird die Corona-Krise vorbei sein. Die Wissenschaftskommunikation hingegen wird uns noch für unbestimmte Zeit begleiten.

 

Laut dem Bericht geniesst die Wissenschaft in der Schweizer Bevölkerung generell grosses Vertrauen. Nun hat die Wissenschaft durch die Pandemie erhöhte – teils auch sehr kritische – Aufmerksamkeit erhalten. Hat dieses Vertrauen dadurch gelitten? Oder wurde es gestärkt?

Ich kann diese Frage nicht eindeutig beantworten – es ist ein stetiges Auf und Ab, abhängig vom Zeitpunkt, aber auch der politischen Einstellung, der Ideologie und der generellen Einstellung der einzelnen Menschen gegenüber der Wissenschaft. Im Hinblick auf die durchaus legitimen Fragen an die Wissenschaft würde ich sagen, dass wir den Dialog mit der Bevölkerung verstärken müssen. Die Wissenschaftskommunikation muss verständlich machen, wie Wissenschaft funktioniert – nämlich als kontinuierlicher Prozess, der den aktuellen Wissensstand unter den jeweiligen Bedingungen abbildet. Diese Rahmenbedingungen können sich verändern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Ernährungswissenschaft: Etwas salopp ausgedrückt, halten wir ein bestimmtes Nahrungsmittel am Tag x für gesund, und aufgrund neuer Daten finden wir dann heraus, dass es Krebs verursachen kann. Natürlich passiert das nicht innerhalb eines Tages, aber für die Bevölkerung kann leicht der Eindruck entstehen: Ihr wechselt immer eure Meinung. Dabei ist es gar kein echter Widerspruch, sondern widerspiegelt nur die Tatsache: Je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir. Auf die aktuelle Pandemie trifft das auch zu: Wir haben es hier mit einem neuartigen Coronavirus zu tun, über das wir am Anfang sehr wenig wussten.

 

«Bezüglich dem Vertrauen ist etwas sehr wichtig: Wenn die Wissenschaft – respektive die Leute, die Wissenschaft kommunizieren – zu viel verspricht, sinkt das Vertrauen.»

 

Die ExpertInnengruppe hat auch soziale Netzwerke unter die Lupe genommen. Diese können für die Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten eine wichtige Rolle spielen – aber eben auch die Verbreitung von Fake News ermöglichen. Sind Twitter & Co eher Segen oder Fluch für die Wissenschaftskommunikation?

Generell halte ich soziale Netzwerke für einen Segen, aber wie sie benutzt werden ist ein Fluch. Was ich damit meine: Die Technologie gibt uns einen wunderbaren Zugang zu Wissen und die Möglichkeit, wertvolle Informationen schnell und weit zu verbreiten – mehr und besser als irgendein anderer Kanal. Soziale Netzwerke geben der breiten Bevölkerung also Macht. Wenn Menschen diese Macht jedoch missbrauchen, um Falschinformation zu streuen, ist es wirklich schädlich – unabhängig davon, ob sie willentlich und bewusst zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung verbreitet werden oder nicht. Wir brauchen also Instrumente, um zwischen glaubwürdig und unglaubwürdig zu unterscheiden, und diese Instrumente des kritischen Denkens müssen schon in der Schule gelehrt werden. Dabei spielt auch eine wichtige Rolle, dass sich viele Leute in den sozialen Medien nur in ihrer eigenen Blase befinden und schon deshalb eine eingeschränkte Sicht haben. WissenschaftskommunikatorInnen müssen sich darüber im Klaren sein, dass alle Menschen die Dinge aus ihrer eigenen Weltsicht betrachten.

 

Gerade im Pandemiejahr konnte man beobachten, dass einzelne Exponenten der Wissenschaft sich auf Twitter inszenierten. Man könnte schon fast von einem Personenkult sprechen. Wie sehen Sie das?

Twitter und andere Plattformen ermöglichen es Leuten, sich Gehör zu verschaffen. Der Job eines Forschers oder einer Forscherin besteht darin, Daten zu erheben, zu sammeln, auszuwerten und sie in einem «peer-reviewed» Journal zu verbreiten. Aber die Meisten haben keine Möglichkeit, diese Daten öffentlich zu kommunizieren – ausser, sie werden von einer Journalistin für ein Interview befragt oder sind Teil der Task Force etc. Die Plattformen schaffen also Raum für den Austausch. Das kann jedoch auch eine grosse Herausforderung sein: Es verführt Forschende dazu, nicht durch den Prozess der «peer-reviews» zu gehen; sie behandeln soziale Medien wie ein Tagebuch oder ein Tischgespräch mit Freunden und Familie. Da gehen manchmal die Emotionen hoch, was sie in Schwierigkeiten bringen kann. Kanäle wie Twitter verleiten dazu, nicht lange über Dinge nachzudenken.

 

«Manche Forschende sind auf Twitter geradezu zu Superhelden geworden. Mit diesem Status muss man auch erst einmal umgehen können.»

 

Es ist ja nur menschlich, dass man sich freut, wenn man wahrgenommen wird, wenn die Leute immer mehr hören wollen. Aber die Wissenschaft steht eben besonders auch für Glaubwürdigkeit, und das kann zur Herausforderung werden.

 

Sie würden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern also raten, zweimal nachzudenken, bevor sie einen Tweet absetzen?

Unbedingt, ja. Das machen sie ja auch, bevor sie ein Interview geben oder in einem Journal publizieren. Es gibt jedoch auch Wissenschaftlerinnen und Forscher, die auf Twitter einen hervorragenden Job machen und Einblicke in ihre Tätigkeit geben, die sonst nicht möglich sind. Das ist grossartig.

 

Das führt mich zu einer Empfehlung Ihrer ExpertInnengruppe, nämlich dass Forscherinnen und Forscher im Bereich Wissenschaftskommunikation ausgebildet werden sollten. Ist der Wille dazu seitens Wissenschaft vorhanden? Und sind die Institutionen bereit, dafür auch Mittel einzusetzen?

Das ist sehr von den einzelnen Institutionen und Personen abhängig. Es gibt verschiedene Stufen der Unterstützung – manche Hochschulen und Universitäten bieten spezifische Coachings an, an manchen wiederum läuft diesbezüglich gar nichts. Und wenn, dann werden oft Doktoranden oder junge Forschende unterstützt. Auf der persönlichen Ebene wiederum spielt der Charakter eine wichtige Rolle: Manche sehen ihr Gesicht gerne täglich im Fernsehen, andere würden nie ein Interview geben. Es müssen ja auch nicht alle gleichermassen kommunizieren. Wichtig ist, dass alle Bereiche der Wissenschaft in der Öffentlichkeit sichtbar werden und dass die Anreize dafür geschaffen werden. Für die Finanzierung eines Forschungsvorhabens wird ja auch ein Plan für die Publikation respektive Verbreitung der Resultate verlangt. Meistens wird darunter die Publikation in wissenschaftlichen Journals verstanden. Aber hier sollte auch die Kommunikation mit der Gesellschaft verankert werden. Wenn die Forschenden dies nicht selber tun können oder wollen, sollten in den Forschungsgruppen Leute dafür eingestellt werden.

 

Die ExpertInnengruppe fordert auch eine Stärkung des Wissenschaftsjournalismus, um den es nicht allzu gut bestellt ist. Wie kann dieser gestärkt werden?

Ich würde es gerne sehen, dass Medien die Wissenschaft in allen Bereichen aufgreifen. Viele meiner Kollegen denken beim Begriff Wissenschaftsjournalismus nur an das Ressort «Wissen». Ich bin absolut einverstanden damit, dass diese Ressorts unterstützt werden. Sie sollten besser finanziert werden, um gute Journalistinnen anstellen zu können. Aber so Vieles, was wir täglich sehen und erleben basiert auf Wissenschaft. Ich würde deshalb gerne mehr wissenschaftliche Information in anderen Ressorts lesen – beispielsweise in einer «Lifestyle»-Beilage. Wenn wir über das Gärtnern sprechen: Lasst uns über Biodiversität sprechen, über Wasserressourcen, über Pflanzen, die helfen, die Luft zu reinigen, über Pflanzen, die für Kinder oder Tiere giftig sein können. In meinen Augen sind das verpasste Gelegenheiten.

 

Sie haben auch die finanzielle Unterstützung für den Wissenschaftsjournalismus erwähnt. Reicht das als Instrument?

Ich denke, die Finanzierung ist lediglich Ausdruck einer Mentalität und Prioritätensetzung. Das Geld ist vorhanden. Es geht darum, die Wahl zu treffen, wie wir es investieren wollen. Die Entscheidungsträger müssen anerkennen, dass Wissenschaftskommunikation priorisiert werden muss – und der Journalismus ist Teil davon.

 

Sehen Sie denn auch Potenzial bei der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten?

Ja, allerdings. Eine positive Auswirkung dieser Pandemie ist die Tatsache, dass Leute journalistische Leistungen mehr wertschätzen – einfach deshalb, weil traditionelle Medien wie Zeitungen und Fernsehen die Hauptinformationsquelle für die meisten Leute sind.

 

«Die Leute sind hungrig auf die neuesten Nachrichten, und diese kommen von Journalisten. Und deshalb ist es wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten auch einen wissenschaftlichen Blick auf Themen haben.»

 

Um das sicherzustellen, ist es schon mal wichtig, dass im Newsroom Leute mit einem wissenschaftlichen Hintergrund sitzen. Wenn jemand über medizinische Themen schreibt, sollte er oder sie einen medizinischen Hintergrund haben – oder zumindest ein paar Basiskurse besucht haben, die helfen, wissenschaftliche Artikel zu lesen. Ein Beispiel dazu: Als ich Professorin in Boston war, haben wir unseren Studierenden in Gesundheitskommunikation einen Kurs in Epidemiologie angeboten wo sie lernten, medizinische Informationen einzuordnen. Ich denke, diesbezüglich gibt es in der Schweiz Verbesserungspotenzial. Auch im Bereich Weiterbildung gibt es wohl Luft nach oben, wünschenswert wären zum Beispiel Basiskurse über statistische Begriffe. Sowas könnte sowohl von staatlicher Ebene als auch von den Medienhäusern finanziert werden.

 

Würden Sie angesichts der Krise im Wissenschaftsjournalismus junge Leute ermutigen, diesen Beruf anzustreben?

Ja. Denn egal ob jung oder alt:

 

«Je mehr man von Wissenschaft versteht, umso besser. Je besser zugänglich wir Wissenschaft machen, umso besser sind wir als Gesellschaft.»

 

Als Professorin werde ich oft um Rat bezüglich Berufslaufbahn gebeten. Meine erste Empfehlung lautet immer: Folge deiner Leidenschaft. Du solltest die Arbeit tun, die du gerne tust. Aber man muss natürlich auch den Arbeitsmarkt im Auge berücksichtigen. Wenn jemand einen sicheren, lebenslangen Job haben möchte, ist Journalismus ein schwieriges Pflaster. Aber eine Grundausbildung in Wissenschaft und Kommunikation kann viele Türen öffnen – sei es im Journalismus, in der Wissenschaftskommunikation oder auch auf einer Bank, wo man die Wissenschaft hinter dem Börsengeschehen verstehen will.

 

Zum Abschluss: Welche Ihrer Empfehlung liegt Ihnen am meisten am Herzen?

Wichtig ist vor allem der Austausch mit der Gesellschaft: Dass die Leute Wissenschaft verstehen, sie aber auch daran teilhaben können. Es ist keine Einbahnstrasse: Wissenschaftler lernen genauso von Nicht-Wissenschaftlerinnen wie umgekehrt. So machen wir Wissenschaft relevant für alle.

 

Biographie

 

L. Suzanne Suggs ist ordentliche Professorin für soziales Marketing am Institut für öffentliche Kommunikation und am Institut für öffentliche Gesundheit an der Universita della Svizzera Italiana. Zudem ist sie Vizepräsidentin der Swiss School of Public Health und Mitgründerin der European Social Marketing Association. Nach einem Doktorat in Gesundheitsstudien an der Texas Woman’s University absolvierte sie einen Postdoc in klinischer Epidemiologie und Biostatistik an der McMaster University in Ontario, Kanada. Suzanne Suggs erforscht Verhaltensdeterminanten und wie Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien zu Verhaltensänderungen im Gesundheitsbereich führen können.
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Salome Bosshard

Coordinator of the expert group «Communicating Sciences and Arts in Times of Digital Media»

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