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Alessandra Buonanno und Thibault Damour

Balzan Preisträgerin und Preisträger 2021 für

 

Gravitation: physikalische und astrophysikalische Aspekte

Am 14. September 2015 gelang mit dem Gravitationswellen-Observatorium LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) in den USA erstmals ein experimenteller Nachweis von Gravitationswellen – fast ein Jahrhundert nachdem Albert Einstein diese Wellen prognostiziert hatte. Sie entstehen, wenn aufgrund kosmischer Ereignisse gewaltige Energien freigesetzt werden, zum Beispiel bei der Verschmelzung von Schwarzen Löchern. Damit ermöglicht die Entdeckung dieser Wellen ein besseres Verständnis der Gravitation. Alessandra Buonanno und Thibault Damour haben mit ihren Forschungsarbeiten wesentlich zu diesem «Jahrhundertereignis» beigetragen und werden dafür mit dem Balzan-Preis ausgezeichnet.

 

Alessandra Buonanno (Jg. 1968) ist eine italienisch-US-amerikanische Physikerin und seit 2014 Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam, wo sie die Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie leitet. Sie hält seit dem Jahr 2005 eine Professur an der University of Maryland in College Park, Maryland. Thibault Damour (Jg. 1951) ist Professor in theoretische Physik am IHES (Institut des Hautes Etudes Scientifiques) in Frankreich.

 

Beide Wissenschaftler erhalten den Balzan Preis 2021 «für ihre führende Rolle in der Vorhersage von Gravitationswellensignalen, die erzeugt werden, wenn kompakte Objekte wie Neutronensterne und Schwarze Löcher sich gemeinsam in einer Spirale bewegen und schlussendlich verschmelzen.» Sie haben gemeinsam im Jahre 1999 eine "effektive Ein-Körper-Methode" zur Berechnung der Bahnbewegung und der Gravitationsstrahlung von zusammenwachsenden Doppelsternsystemen mit Schwarzen Löchern entwickelt. Dieser analytische Ansatz war wichtig, um die Gravitationswellendetektoren LIGO/Virgo bei der Analyse und Verarbeitung von Daten zu unterstützen.

Was preisgekrönte Forscher:innen dem Nachwuchs mitgeben

Welchen Einfluss hat die Darmflora auf das kindliche Wachstum? Wer waren die Hurriter? Was verraten Gravitationswellen über die Ursprünge des Universums? Warum schauen viele Menschen zu, wenn andere systematisch ausgegrenzt und verfolgt werden – wie Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus? Antworten zu diesen Fragen liefern die mit dem Balzan Preis 2021 prämierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ende Juni 2022 waren sie anlässlich der Preisverleihung zu Gast in Bern. In persönlichen Interviews geben sie Einblick in ihre Forschung, verraten wer ihre Vorbilder sind und was sie jungen Forscherinnen und Forschern mitgeben möchten.

 

Interview von Astrid Tomczak-Plewka mit Alessandra Buonanno

 

Alessandra Buonanno, Sie beschäftigen sich mit schwarzen Löchern, Gravitationswellen, dem Universum. Wir würden Sie einem Kind erklären, woran Sie forschen?

Gravitationswellen sind astronomische Botschafterinnen aus dem dunklen, tiefen Universum. Sie entstehen durch die Beschleunigung von astrophysikalischen Objekten, beispielsweise wenn sich zwei schwarze Löcher spiralförmig umkreisen. Die Gravitationswellen breiten sich in Lichtgeschwindigkeit Richtung Erde aus, wo wir sie dann messen können. Es sind Fingerabdrücke der Quellen, die sie produziert haben. Indem wir die Gravitationswellen beobachten, können wir beispielsweise etwas über die Grösse (Masse) und Form (Eigendrehung) von schwarzen Löchern und Neutronensternen sowie über ihre Entfernung zur Erde lernen. Gravitationswellen bieten also eine neue Möglichkeit, das Universum zu erforschen, nicht nur mit Licht wie in den letzten 400 Jahren. Wir haben also ein neues Instrument in der Hand.

 

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Balzan-Preis?

Ich bin natürlich hocherfreut und fühle mich sehr geehrt. Ich möchte betonen, dass die mit dem Preis gewürdigte Arbeit ein Kollektivwerk von aufstrebenden und erfahrenen Forschenden ist, und ich bin deshalb auch sehr glücklich, dass ein Teil des Preisgelds zur Unterstützung von Nachwuchsforschenden eingesetzt wird.

 

Was würden Sie jungen Forscherinnen und Forschern raten, die in Ihre Fussstapfen treten wollen?

Leidenschaft und Neugierde sind eine wichtige Voraussetzung für diese Arbeit. Forschung kann sehr anspruchsvoll sein, aber mit diesen Eigenschaften ist jede und jeder gut ausgerüstet dafür. Und Vorbilder, Mentorinnen und Mentoren sind auch sehr wichtig.

 

Sie arbeiten in einem Gebiet, das männerdominiert ist oder zumindest war. Mussten Sie als Frau besondere Herausforderungen meistern?

Ich hatte das grosse Glück, in einem Umfeld aufzuwachsen, das mich nicht davon abhielt, meine Leidenschaften und meine Neugierde auszuleben und eine akademische Laufbahn zu starten. Es ist für junge Menschen und insbesondere junge Frauen wichtig, dass soziale und kulturelle Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, die sie daran hindern, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen und weiterzuverfolgen. Diversität bereichert die Wissenschaft.

Seit 1961 zeichnet die internationale Stiftung Balzan Preis alljährlich herausragende WissenschaftlerInnen der Geistes- und Naturwissenschaften sowie Persönlichkeiten im Bereich Kunst und Kultur mit einem Gesamtwert von 3 Mio. Schweizer Franken aus. Die Bekanntgabe der Preise ist jeweils im September in Mailand, das interdisziplinäre Forum der Balzan PreisträgerInnen sowie die feierliche Preisverleihung finden abwechselnd in Rom und in Bern statt. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten die letztjährigen Anlässe verschoben werden – und zwar auf den Frühsommer 2022. In Bern werden dieses Jahr insgesamt 6 Forscherinnen und Forscher für ihre Beiträge zum Mikrobiom, zur Gravitation, zum Holocaust und Genozid sowie zu vorderasiatischer Kunst und Archäologie ausgezeichnet.