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«Grenzen überschreiten»

Von Camille Flammarion über das Theater und das Rektorat bis hin zu Wikipedia erzählt uns Danielle Chaperon von ihrem Engagement für die Kultur- und Wissenschaftsvermittlung. Als Literatur- und Dramaturgieprofessorin an der Universität Lausanne setzt sie sich unermüdlich dafür ein, Wissenschaftskulturen in Einklang zu bringen und Wissen in Szene zu setzen.

 

Autorin: Elisabeth Alfs-Lapraz

© Bildquelle: Annette Boutellier

Covid-19 hat mich doppelt beunruhigt. Ich hasste es, vor meinem Bildschirm sitzend zu unterrichten, und die Theater waren geschlossen. Denn obwohl ich im Stehen unterrichte, sitze ich im Theatersaal gerne. Ich war auch sehr besorgt um die KünstlerInnen. Einige entschieden sich dafür, die abgesagten Aufführungen durch Online-Veranstaltungen zu ersetzen, andere erklärten, dass ein Ersatz nicht möglich sei. Aber am Ende waren sich alle einig, dass die Online-Veranstaltungen die Live-Vorstellungen niemals ersetzen würden. Meine Studierenden mussten auf ihr Forschungsobjekt in seiner aktuellen und lebendigen Form verzichten.

 

Zum Anlass von 400 Jahren Molière haben wir mit KollegInnen aus der Westschweiz ein grosses Vermittlungsprojekt auf die Beine gestellt, das von Agora (Förderinstrument des Schweizerischen Nationalfonds) finanziert wurde. « Rire avec Molière ? » verbindet drei Universitäten, Fernsehen, Radio und mehrere Theater. Mit einem breiten Zielpublikum im Blick wollten wir die Vorstellung in Frage stellen, dass Molière universell und zeitlos sei und die Menschen seit dem 17. Jahrhundert gleichermassen zum Lachen bringe. Seine grossen Komödien entwickeln sich dank der wissenschaftlichen Forschung und der Arbeit der KünstlerInnen auf der Bühne ständig weiter.

 

Wissenschaftsvermittlung hat mich schon immer interessiert, auch als Literaturhistorikerin. Ich habe meine Doktorarbeit Camille Flammarion gewidmet, einem bekannten Astronomen aus dem 19. Jahrhundert, der alle Medien seiner Zeit nutzte, um seine Erkenntnisse einer möglichst grossen Anzahl Menschen zu vermitteln. Er war ein hervorragender Redner, der König der Lichtprojektion! Sein Werk demonstriert die Verflechtung in der Wissenschaftsvermittlung zwischen der Rede, der Person des Referenten oder der Referentin, der Inszenierung des wissenschaftlichen Inhalts und der Technologie.

 

Science et Cité hat ein Projekt rund um Wikipedia lanciert, das ich besonders interessant finde. Die Stiftung stellt Lernkapseln für Hochschuldozierende zur Verfügung. Statt diese partizipative, populäre Enzyklopädie einfach zu kritisieren, können wir sie uns zusammen mit den Studierenden zu eigen machen. Bei den behandelten Themen gibt es noch viele Lücken. Das Verfassen eines Eintrags gemäss anspruchsvollen redaktionellen Standards hilft, die Studierenden vom Nutzen ihrer Forschung zu überzeugen und sie für die Weitergabe von Wissen zu sensibilisieren.

 

Mein allgemeineres Interesse für die Zusammenhänge zwischen Natur- und Kulturwissenschaften lässt sich zum Teil mit meiner Frustration darüber erklären, dass ich mich mit zwölf Jahren zwischen diesen beiden Richtungen entscheiden musste. Als ich Vizerektorin war, trug ich dazu bei, eine gemeinsame kulturelle Grundlage für die Studierenden der Fakultäten für Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Grundlagenwissenschaften an der Universität Lausanne und der ETHL zu konsolidieren. Ein Kursprogramm in Geistes- und Sozialwissenschaften für die Studierenden der ETHL gab es bereits. Ich ergänzte es mit einer Reihe von Kursen für Studierende der Geisteswissenschaften, damit diese ihre Neugier für Physik, Biologie oder auch Mathematik nicht aufgeben mussten.

 

Die Kurse, die ich an der ETHL abhielt, veranlassten mich dazu, meinen Unterricht an der Universität zu überdenken. Wenn wir uns an Studierende unseres Fachs richten, ist vieles implizit. Sobald das Zielpublikum jedoch aus Personen besteht, die dieses Fach nicht gewählt haben, müssen bestimmte grundlegende Konzepte präzisiert und begründet werden. Ich habe viel gelernt. Das Überschreiten von Grenzen führt nicht dazu, dass man seine Identität verliert, es ermöglicht einem im Gegenteil, sie zu hinterfragen und besser zu verstehen.

Dieser Artikel wurde im Jahresbericht 2021 der Akademien der Wissenschaften Schweiz veröffentlicht.

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