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«Die digitalen Technologien werden die Schönheit eines echten Dialogs niemals ersetzen»

Nachdem Anne-Catherine Lyon während mehrerer Jahre hohe politische Ämter ausgeübt hat, sitzt sie nun im Stiftungsrat von TA-SWISS. Sie fühlt sich wohl in dieser Atmosphäre des Forschens und Hinterfragens, spricht mit uns über ihr Engagement und verrät uns nebenbei einige ihrer Leidenschaften.

 

Autorin: Rina Wiedmer

© Bildquelle: Annette Boutellier

Wir sind in meiner liebsten Jahreszeit angekommen, dem Frühling. Ich bin im Frühling geboren und immer, wenn wir uns dieser Jahreszeit nähern, bin ich voller Energie. Ich liebe es, aktiv zu sein, das ist ein enormer Antrieb.

 

Seit zweieinhalb Jahren gehöre ich dem Stiftungsrat von TA-SWISS an. Ich fühlte mich sehr geehrt, als ich gewählt wurde. Durch das Mandat bleibe ich nahe an dem, was mir während meiner fünfzehnjährigen politischen Tätigkeit in der Waadtländer Regierung Spass gemacht hat. Ich war für Bildung und Kultur, und insbesondere für die Hochschulen, zuständig. Meine Rolle war politisch; es ging nicht darum, sich in die akademische Freiheit einzumischen, sondern die Forschung zu unterstützen und die nötigen finanziellen Mittel für deren Weiterentwicklung zur Verfügung zu stellen. Die Mitarbeit in diesem Stiftungsrat ermöglicht es mir, zum Kern der Dinge zurückzukehren. Das gefällt mir und motiviert mich extrem.

 

Wir haben uns 2021 mit dem Schwerpunktthema «Demokratie und Digitalisierung» auseinandergesetzt. Es handelt sich dabei um eine entscheidende Frage, die mit einem überaus kritischen Blick betrachtet und angegangen werden muss. Unsere westliche Gesellschaft setzt ihren Weg hin zu einer digitalen Welt fort, während wir gleichzeitig beginnen, die Schwachstellen dieses Systems wirklich zu erkennen. Was heute fehlt, ist ein anderer Blickwinkel, der sich dem anhaltenden Trend widersetzt, der sagt: «Das ist fantastisch, wir brauchen Fortschritt». Bundesrat Guy Parmelin wies Ende 2021 zu Recht auf die immense Verwundbarkeit der Schweiz hinsichtlich der Stromversorgung hin, womit man niemals gerechnet hätte. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Digitalisierung vollständig vom Strom abhängig ist. Wenn eines Tages kein Strom mehr da ist, sind wir aufgeschmissen. Gleichzeitig unterliegt der gesamte Bereich der Cybersicherheit einem hohen Risiko durch Hacking, Störungen usw. und das Thema ist so aktuell wie nie zuvor. Abgesehen davon befürworte ich keine komplette Digitalisierung der Gesellschaft.

 

Was die Möglichkeit betrifft, Debatten in sozialen Netzwerken zu demokratisieren, ist meine Ansicht eher traditionell. Ich sehe keine ausgewogene Debatte. Die Personen bleiben unter sich, also innerhalb von Gruppen, die gleich denken. Entsprechend erscheint es mir unmöglich, Meinungen auf der Basis einer tatsächlichen Gegenüberstellung von Ansichten zu bilden. Meiner Meinung nach werden die digitalen Technologien niemals die Schönheit eines echten Dialogs oder den Reiz eines Buches ersetzen.

 

Ich bin eine begeisterte Leserin. Bereits als Kind verschlang ich ein Buch pro Tag. Autobiografien und Briefwechsel mag ich besonders gern. Ich habe die Korrespondenz zwischen Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre wieder und wieder mit grossem Genuss gelesen. Diese Briefwechsel zwischen zwei beeindruckenden Persönlichkeiten faszinieren mich, denn man kommt ihnen in ihrer Intimität sehr nahe: Sie schrieben sich zweimal pro Tag. Darin ist der ganze Nährboden des Alltags zu finden, der einzigartig ist. Simone de Beauvoir bleibt für mich eine grosse Inspirationsquelle, insbesondere durch die Erzählung ihres spannenden Lebens. Ich liebe das Buch, weil es diese Magie der tiefgründigen Entdeckung des anderen ermöglicht. Es ist wohl diese Liebe zum Lesen, die mir die Veranstaltung «Le livre sur les quais» in Morges nähergebracht hat. Ich bin Stiftungsratspräsidentin und diese Aufgabe macht mir viel Spass.

Dieser Artikel wurde im Jahresbericht 2021 der Akademien der Wissenschaften Schweiz veröffentlicht.

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