Seit 1984 leiten sie die Ausgrabungen in der antiken Stadt Urkesh – heute bekannt unter dem Namen Tell Mozan – in Syrien: Giorgio Buccellati und seine Frau Marilyn Kelly-Buccellati.
Die Ursprünge dieser Stadt reichen sechstausend Jahre zurück. Während dreier Jahrtausende galt sie als ein wichtiges politisches und religiöses Zentrum einer fast unbekannten mesopotomaischen Kultur: Der Hurriter. Dank der Arbeit des Ehepaars kommt diese Kultur nun wieder ans Licht. Die Bucellatis werden mit dem Balzan-Preis 2021 ausgezeichnet «für ihre Verdienste in der Erforschung der hurritischen Kultur und die Würdigung ihrer Bedeutung als Grundlage einer grossen städtischen Zivilisation, die im dritten Jahrtausend v. Chr. zu den blühendsten im alten Nahen Osten zählte; für die Förderung des digitalen Forschungskonzepts für das Studium der Archäologie; für die Entwicklung theoretischer Ansätze in diesem Bereich.»
Giorgio Buccellati (Jg. 1937) ist emeritierter Professor für Sprachen und Geschichte an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA), wo er noch immer lehrt und 1973 das Institut für Archäologie gründete. Ausserdem ist er Direktor des IIMAS - International Institute for Mesopotamian Area Studies. Marilyn Kelly-Bucellati ist emeritierte Professorin an der California State University, Los Angeles. Zusammen haben sie archäologische Ausgrabungen im vorderasiatischen Raum durchgeführt, vor allem in Syrien aber auch in der Türkei und im Kaukasus.
Interview von Astrid Tomczak-Plewka mit Giorgo Buccellati und Marilyn Kelly-Buccellati
Giorgio Buccellati, Marilyn Kelly-Buccellati, wie würden Sie meiner 14-jährigen Tochter ihr Forschungsgebiet erklären?
GB (lacht): Nun, es geht eigentlich darum, die Menschen hinter den Dingen zu entdecken. Kinder haben viel Fantasie, sie sehen Puppen und erfinden Geschichten dazu. In unserem Fall sind die Geschichten real. Der Spass liegt darin, das richtige Leben hinter den Grabungen zu entdecken.
MKB: Und man darf keine Angst davor haben, sich die Hände dreckig zu machen, wir wühlen die ganze Zeit im Dreck rum. Schon als Kind liebte ich es, aus Schlamm Mäuse zu formen.
Was bedeutet Ihnen der Balzan Preis?
GB: Es ist eine spezielle Auszeichnung – eigentlich ist es eher eine Verpflichtung als ein Preis, weil wir damit ein Forschungsprojekt entwickeln. Es ist also etwa so, wie ein Stipendium zu erhalten. Wir arbeiten mit jungen Menschen aus der ganzen Welt – insbesondere aus Syrien, Europa, den USA und China – und bringen damit verschiedene Stränge unserer Forschung zusammen, die wir ohne diese Unterstützung nicht finanzieren könnten.
MKB: Wir fühlen uns sehr wertgeschätzt durch den Preis. Viele unserer Studierenden haben durch die Covid-Pandemie sehr gelitten, beispielsweise weil sie von ihren Familien getrennt waren und sie nicht besuchen konnten. Dieser Preis hat sie ermutigt – und uns natürlich auch.
Für diese jungen Menschen dienen Sie als Vorbilder. Welche Vorbilder hatten Sie in Ihrer Karriere?
MKB: Für mich war es kein Mensch, sondern ein Buch. Ich lebte in einer Kleinstadt in New Jersey und liebte es, in die Bibliothek zu gehen. Als ich so 12, 13 Jahre alt war, las ich ein Buch über die Schriftrollen im Toten Meer. Ich fand das höchst interessant und wunderbar. Da wusste ich, dass ich Archäologin werden wollte.
GB: Mein Vorbild ist meine Frau. Ich begann meine Karriere nämlich als Philologe, mein erster Einsatz im Feld war als Inschriftenforscher im Irak. Dann heiratete ich Marilyn, und sie bekehrte mich zur Archäologie.
Was möchten Sie jungen Forschenden mitgeben, die in Ihre Fussstapfen treten wollen?
GB: Das ist eine sehr wichtige Frage. Und ich denke, es geht darum Werte zu vermitteln. Wir sprechen heute sehr viel über Technologien und nutzen sie, was grossartig ist. Wir brauchen Expertise, aber wir sollten die Werte nicht aus dem Blick verlieren, was mich zu meiner ersten Antwort zurückführt. Es geht immer um die Menschen hinter den Dingen. Es ist interessant: Die Technologie vernetzt einerseits die Menschen, andererseits leben wir in einer Anonymität und es gibt sehr viele einsame Menschen.
MKB: Das kann ich nur unterstreichen. Wir identifizieren uns mit den Menschen der Antike und mit den Menschen, mit denen wir arbeiten. Beispielsweise haben wir immer wieder Arbeitende auf unseren Grabungsstätten unterrichtet, dann habe ich vielleicht einen bestimmten arabischen Ausdruck vergessen und es kommt jemand zu mir und erklärt mir, welches Wort ich suche. Wir sind also nicht nur mit den Menschen der Antike, sondern auch mit unseren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen verbunden.
GB: Ich möchte noch was ergänzen: Es gibt einen komplizierten technischen Begriff für das, was wir tun: Hermeneutik. Wir erforschen die menschliche Dimension hinter den stummen Botschaften, welche die Antike hinterlassen hat.
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