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Huemul - der Hirsch ohne Furcht

28. Oktober 2022

 

Die Neugier und Vertrauensseligkeit des Huemul sind legendär. Er hat keinerlei Scheu vor dem Menschen. Das machte ihn über Jahrhunderte zur leichten Jagdbeute. Dazu kam die Vertreibung aus den fruchtbaren Ebenen, die von Kolonisten mit ihren Rinder- und Schafherden besiedelt wurden. Heute überdauert der Huemul nur in letzten Gruppen in kaum zugänglichen Gebieten der Anden. Ein engagierter Schweizer Wissenschaftler hat nun die erste argentinische Zuchtstation für Huemul in Betrieb genommen. Er hofft, so das Aussterben doch noch zu verhindern.

«Der Bestand dieser wunderbaren Hirsche hängt heute am seidenen Faden. In Argentinien gibt es nur noch 350 – 500 Huemul. Diese wenigen Tiere sind in etwa sechzig Gruppen in nur beschränkt geeigneten Habitaten in den Anden zersplittert, die untereinander keinen Austausch haben. Dazu kommen etwa tausend Huemul in Chile», fasst Biologe Werner Flück die dramatische Situation dieser seltensten Hirschart der Welt zusammen. Kaum vorstellbar, dass der Huemul einst in reichen Beständen ganz Patagonien beäste. Sein fehlender Fluchtreflex vor dem Menschen hat ihn zu lange zur einfachen Jagdbeute gemacht. Der Huemul geniesst mittlerweile den höchsten Schutzstatus der International Union for Conservation of Nature IUCN.

 

Erste Tiere leben in Sicherheit

Endlich ist Flück ein wichtiger Schritt gelungen, diesen seltenen Hirsch vor dem Aussterben zu bewahren. Werner Flück ist gebürtiger Schweizer und über die Universität Basel mit den Akademien der Wissenschaften Schweiz assoziiert. Nach jahrelangem Ringen mit den lokalen Behörden konnte er nun Argentiniens erste Zuchtstation für Huemul in Betrieb nehmen. «Nach Monaten der Vorbereitung konnten wir vor wenigen Wochen die ersten Tiere einsetzen. Seit August leben dort drei weibliche und ein männlicher Huemul halbwild in einem gegen Raubtiere abgesicherten Gehege. Sie leiden hier, anders als viele ihrer wild lebenden Artgenossen, nicht unter Mangelernährung», so Flück weiter.

 

Wildbestände weisen vielfach Krankheiten auf. Die Station werde deshalb, so Flück, einen wichtigen Beitrag leisten, um gesunde Tiere zu züchten, dringende Fragen wissenschaftlich zu klären, genetischen Austausch zu ermöglichen und die Wiederansiedlung von ehemals besiedelten Gebieten zu erlauben und überwachen. Flück forscht zusammen mit seiner Frau, der Biologin Jo Anne Smith-Flück, seit dreissig Jahren am Huemul. Sie haben etwa neunzig Prozent der wissenschaftlichen Literatur über den Huemul in Argentinien verfasst.

 

Mangelernährung führt zu frühzeitigem Tod

Unter anderem konnte das Ehepaar Flück zeigen, dass die Tiere ganzjährig in abgelegenen Habitaten in den Bergen bleiben, die ursprünglich nur Sommereinstände bildeten. Dort fehlen ihnen wichtige Spurenelemente. Mehr als die Hälfte der Tiere leidet deshalb an schmerzhaften Knochen- und Gelenkschäden sowie an Gebissproblemen, die die Nahrungsaufnahme zusätzlich erschweren. Der Abstieg in die schneeärmeren und nahrungsreicheren Winterhabitate erfolgt nicht mehr. Die Kultur des Wanderverhaltens der Tiere wurde durch übermässige Bejagung vernichtet.

 

Flück: «Wir konnten nachweisen, dass das zu Mangelernährung führt. Den Tieren fehlt Selen, Kupfer, Mangan und vermutlich Iod, das sie in den Sommereinständen nicht finden. Ein Grossteil stirbt vorzeitig.» Die Huemul in der Zuchtstation können mit den nötigen Spurenelementen versorgt und tierärztlich betreut werden. So soll eine gesunde, widerstandsfähige Population aufgebaut werden. Werner Flück konnte bereits Grundbesitzer überzeugen, Land dafür zur Verfügung zu stellen. Sie verpflichten sich der Aufzuchtstation gegenüber, «ihre» Huemul nicht zu bejagen und sich um ihren Schutz zu kümmern.

 

Langfristperspektive nur mit Spenden möglich

Sobald der Bestand auf etwa zwanzig Tiere gestiegen ist, wollen die Flücks die ersten Exemplare in geeignete Habitate auswildern. Das wird noch einige Jahre dauern. Der Betrieb der Station kann jedoch nur mit ausreichend Spenden gesichert werden. Der argentinische Staat sieht sich ausser Stande die Betriebskosten von etwa 65’000 Dollar pro Jahr aufzubringen. Flück und die Stiftung Shoonem arbeiten deshalb mit einer Schweizer Stiftung, die auch dem Huemul gewidmet ist. So sind Spenden für Schweizer steuerlich absetzbar.

 

Website der Stiftung: www.shoonem.ch

 

Weitere Auskünfte erteilt:

Elisabeth Alfs-Lapraz,

Kommunikationsverantwortliche der Akademien der Wissenschaften Schweiz

elisabeth.alfs@akademien-schweiz.ch

‭+41 31 306 92 39‬

Über Werner Flück

Werner Flück (*1958) stammt aus Binningen/Bottmingen BL. Nach der Matura ging er in die USA um Wildtierökologie zu studieren, da diese Studienrichtung in der Schweiz nicht angeboten wurde. Dort lernte er auch seine Frau kennen, die ebenfalls engagierte Biologin ist. Nach Flücks Doktorarbeit in Wildtierpathologie, für die er sich bereits mit Hirschen beschäftigt hatte, ging das Paar auf eigene Kosten nach Argentinien. Dort wollte es am aus Europa eingeführten, dort invasiven Rotwild und dem endemischen heimischen Hirsch, dem Huemul, forschen.

 

Flück forscht seit zwanzig Jahren als Wissenschaftler beim argentinischen Nationalfonds CONICET. Zudem ist er über das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut Basel mit der Universität Basel assoziiert und Mitglied des Netzwerks der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Die Basler Erlenmeyer-Stiftung finanzierte das Huemul Forschungsprojekt, und 2018 erhielt Flück nach hartnäckigen, langjährigen Vorarbeiten die Erlaubnis, damit die erste und einzige argentinische Aufzuchtstation für Huemul aufzubauen. Diesen August, also im Argentinischen Winter, konnte er dort die ersten Tiere einsetzen. Für den laufenden Betrieb sucht er nun nach Geldern über seine Stiftung shoonem.ch

 

Über die Huemul

Dieser mittelgrosse Hirsch ist der seltenste der Welt. Der Huemul (Hippocamelus bisulcus) war einst in ganz Patagonien heimisch. Er erreicht ein Gewicht von bis zu hundert Kilogramm. Durch den Jagddruck der europäischen und nordamerikanischen Kolonisten und die Bedrohung durch halbwild lebende Hirtenhunde wurde das Wanderverhalten der Huemul eliminiert. Sie ziehen nicht mehr in ihre Winterhabitate in den fruchtbaren Ebenen, sondern verbleiben ganzjährig in schwer zugänglichen Teilen der Anden Argentiniens und Chiles. Dort leben sie bis auf zweitausend Meter Höhe in kleinen, isolierten Gruppen und leiden unter Mangelernährung.

 

Huemul sind vom Aussterben bedroht und geniessen hohen Schutzstatus. Die Schutzgebiete dürfen aber weiterhin von den ansässigen Bauern genutzt werden und die dort geltenden Höchstzahlen für Nutzvieh werden nicht kontrolliert, da der argentinische Staat unter chronischem Geldmangel leidet.